Der Bau der kleinen Vivienda im Regenwald
rolf-kohler.de – Mein Leben in Mexiko
Aus früheren Blogeinträgen geht hervor, dass mich die Gegend rund um Los Tuxtlas – im mexikanischen Regenwald an der Golfküste im Bundesstaat Veracruz – besonders fasziniert. Es war daher wohl unvermeidlich: Im Jahr 2021 komme ich in den Besitz eines kleinen Grundstücks in der Nähe des idyllischen Städtchens Catemaco. Schon bald wird mir klar, dass ich das Grundstück eines Tages mit einem Haus bebauen möchte. Hin und wieder entwerfe ich deshalb erste Bebauungspläne.
Im Juni 2023, während ich gerade für zwei Wochen in Catemaco bin, wird der Plan konkreter: Es ist Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Chuy, ein langjähriger Freund aus der kleinen Gemeinde La Palma, in der sich das Grundstück am Ortsrand befindet, erweist sich dabei als große Hilfe. Durch seine zahlreichen Tätigkeiten in der Region verfügt er über ein umfangreiches Netzwerk, unter anderem auch zu zuverlässigen Handwerkern und Lieferanten für Baumaterialien. Gemeinsam vereinbaren wir einen Termin mit Javíer, einem erfahrenen „Albañil“ (Maurer) aus Catemaco.
Javíer erscheint pünktlich an einem Samstagmorgen. Wir besichtigen zusammen das Grundstück, und er nimmt sich meine Pläne gründlich vor. Ehrlich gesagt hatte ich mit skeptischen Blicken gerechnet, doch zu meiner Überraschung scheint er von meinen Ideen begeistert zu sein. Mein Vorschlag: Wir beginnen zunächst mit dem Bau der Garage, die während der Bauphase gleichzeitig als Lagerraum dienen soll. Ich bitte Javíer um ein Angebot für die Handwerkerkosten für den Bau der Garage, der Grundstücksmauer sowie der „Fosa Séptica“ – also der Klärgrube, da es in der Ortschaft keine Kanalisation gibt.
Javíer rechnet kurz und überreicht mir noch vor Ort ein handschriftliches Angebot, den „presupuesto“, auf einem Stück Papier. Ein Handschlag besiegelt unsere Vereinbarung. Als ich ihn frage, wann wir mit dem Bau beginnen könnten, rechne ich damit, dass es frühestens im nächsten Jahr, also Anfang 2024, losgehen würde. Doch Javíer antwortet mit einem trockenen: „El lunes!“ – Am Montag!
Zwar bin ich spontane Aktionen in Mexiko mittlerweile gewohnt, doch dieser Moment hat mich dann doch überrascht.
Vom Wohnhaus mit Garage zum Einzimmer-Apartment
Am Montagmorgen um 7 Uhr steht Javíer mit einem fünfköpfigen Team pünktlich auf der Baustelle. Bei tropischen Temperaturen von 45 Grad und drückender Luftfeuchtigkeit beginnen die Männer mit der Ausgrabung der Fundamente für die Garage und die Grundstücksmauer. Letztere soll später das Regenwasser vom gegenüberliegenden Berg abhalten. Alles geschieht in reiner Handarbeit, und bereits am Abend sind die ersten Fortschritte sichtbar. Die Handwerker arbeiten äußerst intensiv und unter Bedingungen, die für uns kaum vorstellbar sind. Das Nivel der Fundamente wird präzise mit gespannten Schnüren markiert.
Nach wenigen Tagen sind die Fortschritte deutlich erkennbar, und je weiter die Arbeiten voranschreiten, desto mehr wird mir klar, wie groß die Garage tatsächlich wird. Hier zeigt sich, dass ich zwar als Ingenieur mit der Erstellung und Analyse von Bauplänen sowie mit Statik bestens vertraut bin, mir jedoch die praktische Erfahrung in dieser Branche fehlt. Das Ergebnis: Das gesamte Konstrukt ist völlig überdimensioniert.
In diesem Moment frage ich mich: „Warum überhaupt ein Haus bauen, wenn die Garage doch mehr als genug Platz zum Wohnen bietet?“ Schließlich führe ich in dieser Region ein minimalistisches Leben, das sich ohnehin überwiegend im Freien abspielt. Kurzerhand modifiziere ich den ursprünglichen Plan und verwandle die Garage in ein Einzimmer-Apartment. Aufgrund des fortgeschrittenen Baustadiums sind Bad und Toilette nun von außen zugänglich – was mich allerdings überhaupt nicht stört. Schließlich hat man auf einem Campingplatz auch keine andere Lösung.
Nach Rücksprache mit Javíer werden die weiteren Arbeiten an meine geänderten Pläne angepasst. Zwar ist er zunächst wenig begeistert, da er davon ausgegangen war, nach der Garage mehrere Monate Arbeit am geplanten Haus zu haben, doch er versteht meine Entscheidung und akzeptiert sie schließlich.
August 2023: Fertigstellung des Rohbaus
Nach zwei Wochen kehre ich vorerst nach Puebla zurück, verfolge jedoch täglich online den Fortschritt der Bauarbeiten. Chuy, dem ich die Bauaufsicht anvertraut habe, hält mich stets auf dem Laufenden. Ab und zu gibt es Lieferschwierigkeiten, etwa beim Sand, doch ansonsten bin ich erstaunt, wie reibungslos alles verläuft.
Vier Wochen später mache ich mich erneut auf den Weg in den Regenwald, um den Rohbau persönlich zu begutachten. Ich bin begeistert von der Arbeit, die das Team in so kurzer Zeit geleistet hat. Der Rohbau ist fertig, und schon bald sollen die Fenster und Türen geliefert und eingebaut werden.
Während meines Aufenthalts in Deutschland im Winter 2023 nutze ich die Zeit, um die Eigenarbeiten und die Einrichtung des Apartments vorzubereiten. Ich erstelle eine detaillierte Liste, organisiere alles Nötige und lasse mir bereits online Dinge nach Puebla liefern, die in der Region Catemaco schwer erhältlich sind.
Januar 2024: Endspurt!
Am 3. Januar 2024 mache ich mich auf den Weg nach Mexiko. Anders als bei meinen üblichen Reisen, bei denen ich stets nur mit Handgepäck unterwegs bin, habe ich diesmal zusätzlich einen Koffer dabei – und eine 25 kg schwere Holzkiste. In dieser befinden sich Gegenstände aus meinem Haushalt, die zwar keinen hohen materiellen, dafür aber großen ideellen Wert besitzen. Es sind Dinge, die Geschichten aus meinem Leben erzählen – etwa eine über 100 Jahre alte Petroleumlampe, die einst meinem Großvater gehörte. All diese kleinen Schätze sollen einen Platz in meinem rustikalen Häuschen finden.
Zwei Wochen nach meiner Ankunft in Puebla geht es schließlich weiter in den Regenwald. Ab jetzt steht die „Vivienda“, mein kleines Apartment, im Mittelpunkt. Zuerst streiche ich die Wände innen und außen, bevor ich mich Schritt für Schritt daran mache, das Zuhause einzurichten. Während dieser Zeit wohne ich noch bei meiner Nachbarin Marianne, die mir wie immer großzügig ihr gemütliches Apartment zur Verfügung stellt.
Die erste Woche ist vollgepackt mit Handwerksarbeiten. Trotzdem lasse ich es mir nicht nehmen, jeden Morgen um halb sieben meine gewohnte Radtour zur sieben Kilometer entfernten Küste zu unternehmen. Dort genieße ich den Sonnenaufgang am Meer – inklusive einer erfrischenden Badeeinlage. Diese Morgenroutine gibt mir die Energie und Inspiration für den Tag.
Tatkräftige Unterstützung durch Freunde
Bereits Wochen zuvor hat Chuy gemeinsam mit seinem Tischler wunderschöne Möbel aus massivem Zedernholz gefertigt. Die Stücke sind nicht nur stabil und langlebig, sondern passen auch perfekt zum ländlichen Stil der Vivienda. Selbst die kleinen Türen der Küchenzeile sind handgearbeitet und fügen sich harmonisch in das Gesamtbild ein. Zedernholz ist in dieser Region unverzichtbar, da andere Holzarten häufig von Insekten befallen werden.
Chuy hat zudem den Bau einer Palapa im Garten organisiert. Eine Palapa ist ein Pavillon mit einem Dach aus Palmenblättern, das Schutz vor der Sonne bietet. Im Regenwald spielt sich das Leben überwiegend draußen ab, und die Palapa wird mein Esszimmer sowie ein Ort der Entspannung – besonders am Abend, wenn die beeindruckende Geräuschkulisse der Artenvielfalt des Waldes ihre Magie entfaltet.
Zwischendurch unterstützt mich Chuy tatkräftig mit seinem Pickup. Mit seiner Hilfe transportieren wir größere Anschaffungen wie eine Waschmaschine, einen Kühlschrank, einen Herd und eine Matratze aus dem nahegelegenen Städtchen Catemaco zu meiner Vivienda. Ohne seine Unterstützung wäre ich kaum so schnell vorangekommen.
Mit jedem Tag wird das kleine Apartment ein Stück mehr zu meinem Zuhause. Und nach einer Woche ist es schließlich so weit: Mein Umzug von Mariannes Apartment in meine Vivienda steht an. Am Abend sitze ich in meinem kleinen Garten, blicke auf das fertige Ergebnis und bin überwältigt. Wieder ist ein Traum Wirklichkeit geworden: Mein eigenes kleines Zuhause im mexikanischen Regenwald. Ich nenne es „Casita del paraíso“ – Das Häuschen im Paradies. Einfach herrlich!